Einleitung
Das
erregte Geflüster zwischen dem Ehepaar Bassermann störte etwas die
feierliche Stimmung, die an einem späten Märztag des Jahres 1935 im
Krematorium der Gemeinde Wien herrschte. Eine Anzahl Menschen, meist vom
Theater, darunter Deutschlands Schauspielerfürsten Albert Bassermann, Werner Krauß und Emil Jannings,
hatte sich versammelt, um dem großen Kollegen Alexander Moissi die letzte Ehre zu erweisen.
Das Geflüster der Bassermanns brach plötzlich ab, und Albert, angestarrt von hundert Augenpaaren, trat auf den Sarg zu und legte auf ihn den Iffland-Ring, der deutschen Schauspieler Nibelungenreif. Die Worte, die Bassermann dazu murmelte, konnte keiner richtig verstehen.
Noch
hatten sich die Trauergäste vom Staunen nicht erholt, da eilte der
Direktor des Wiener Burgtheaters, Hermann Röbbeling, nach vorne und nahm
den Ring vom langsam nach unten gleitenden Sarg, wobei er in höchster
Erregung die Worte ausstieß: „Dieser Ring gehört einem
lebenden Schauspieler, nicht einem toten“.
So
hat Röbbeling den Iffland-Ring vor den Flammen bewahrt. Vielleicht
wäre es ein eindrucksvoller Abschluss der Ringgeschichte gewesen. Der
letzte Träger schenkt in Anwesenheit der größten deutschen
Schauspieler den Ring einem Toten, so dass weder Hader noch Neid unter den
Lebenden mehr herrsche. Wie Brünhilde dem Rhein, so wollte Bassermann den
Flammen das Kleinod anvertrauen. Kein deutscher Schauspieler hätte jemals
wieder in den Besitz des Iffland-Ringes gelangen können.
DIE
LEGENDE DES RINGES
Gleich
die Gründungsurkunde enthält zwei Irrtümer. Auf einen Zettel,
der an der Unterseite des Etuis befestigt ist, in dem sich der Ring befindet,
schrieb Haase eigenhändig:
„Insignie
- von Theodor Döring an Friedrich Haase ein Ring mit Ifflands Bildnis,
den derselbe Ludwig Devrient in Berlin
übergab. Gewidmet von Dörings Witwe an mich 75.“
In
seinem Brief an Bassermann teilte Haase mit, dass Iffland bei seinem letzten
Gastspiel in Breslau den Ring Ludwig Devrient übergeben habe. Diese
Darstellung scheint der Wahrheit näher, da Devrient erst 1815 von Breslau
an das Berliner Nationaltheater kam. Iffland aber starb schon im Dezember 1814.
Auch
konnte Dörings Witwe den Ring Friedrich Haase im Jahre 1875 kaum widmen,
weil sie in diesem Zeitpunkt noch gar nicht Witwe gewesen war. Döring
starb erst 1878. Die Jahreszahl 1875 könnte sich also nur auf jenes Datum
beziehen, an dem Döring der Einfall kam, an seinen Freund Haase den Ring
weiterzureichen.
Dass
August Wilhelm Iffland einen Ring, ja
sogar mehrere Ringe gestiftet hat, bezeugt auch Wilhelm Burckhardsberg.
Anlässlich der Verleihung des Ringes an Werner Krauß, schrieb
Burckhardsberg einen Brief, in dem er mitteilt, dass auch er einen Iffland-Ring
von gleichem Aussehen besitze, der allerdings nicht mit Brillantensplittern
verziert sei. Er habe den Ring von seinem Großvater erhalten, dieser aber
von seiner Mutter, einer Enkelin Franz Anton Wilhelmis. Wilhelmi aber
gehörte dem Kreis von Kunstfreunden und Günstlingen an, die
Kurfürst Karl Theodor 1788 in Mannheim um sich gesammelt hatte. Auch
Iffland befand sich darunter. (Iffland war von 1779 bis 1796 am Nationaltheater
in Mannheim.)
Burckhardsberg
berichtet:
„Als sich Iffland mit dem Gedanken der Stiftung seines Ringes trug (ganz im Geiste seines romantischen Zeitalters), ließ er davon mehrere anfertigen und verteilte sie an seine intimsten Freunde, die Überlieferung spricht von sieben. Der eigentliche Stiftungsring aber wurde kostbar gefasst.“
August Wilhelm Iffland
Der
Bericht Burckhardsbergs verwirrt und klärt zugleich. Er deckt den Ursprung
der Legende klarer auf als Haases Brief an Bassermann. Nur beim letzten Satz,
der behauptet, dass der Stiftungsring besonders kostbar gefasst worden sei,
scheint sich etwas von der späteren Ringgeschichte eingeschmuggelt zu
haben. Iffland ließ also dem Bericht zufolge gleichzeitig mehrere Ringe
anfertigen und verschenkte sie an seine Freunde. Gleich dem Vater in der
Ringparabel (wir können uns heute kaum mehr die Wirkung von Lessings
„Nathan“ auf Ifflands Zeitgenossen verlebendigen) ließ er
seine Freunde im Ungewissen, wer den eigentlichen Ring erhalten habe. Die
Annahme, dass der Ring existiere, mochte ihm genügen. Die Idee des
Fortlebens in der Erinnerung, die wohl als der innerste Grund für die
Weitergabe des Ringes bezeichnet werden muss, schien Iffland vielleicht in
mehreren Ringen stärker abgesichert zu sein. Wohl kannte er zu diesem
Zeitpunkt noch nicht seine künftige Bedeutung für die Geschichte des
Theaters, doch war er selbstbewusst genug, anzunehmen, dass sein Name nicht
ganz der Vergessenheit anheim fallen werde. Die Ringe aber sollten diese
Hoffnung noch untermauern, denn sie waren das Symbol eines Freundschaftsbundes.
Das
Geheimnisvolle jedoch, das dem Wesen eines Bundes innewohnt, schloss das Band
vom Schenkenden zum Beschenkten noch unzerreißbarer.
Einen
Ring, der den Namen Ifflands trägt, wird jeder Schauspieler in Ehren
halten. Zwar sind es nicht Ifflands schauspielerische Qualitäten - es gab
zu seiner Zeit sowie vor und nach ihm bedeutend bessere Interpreten auf der
Bühne - auch nicht seine Theaterstücke, die heute noch die Erinnerung
an ihn verklären. Seine eigentliche Leistung war, dass er den
Schauspielerstand aus dem Bezirk der gesellschaftlich Geächteten, aus dem
Vagabundenmilieu emporgehoben hat. Wir, die in einer Epoche leben, in der die
Welt des Scheins die Könige der Gesellschaft liefert, können die Tat
Ifflands in ihrer revolutionären Wirkung kaum mehr begreifen.
Es
gibt auch eine Überlieferung, dass der so genannte Iffland-Ring eigentlich
von Goethe dem Schauspieler übergeben worden sei, und eine andere
Überlieferung spricht von Goldknöpfen, welche der Dichterfürst
Iffland geschenkt haben soll. Der Schauspieler hätte sie dann später
zu Manschettenknöpfen umarbeiten
lassen. Diese Überlieferungen dürften jedoch in erster Linie Zeugnisse
der Wertschätzung sein, die Goethe für Iffland hegte und die er
oftmals zum Ausdruck brachte, vor allein während des Gastspiels in Weimar.
Goethe hatte Iffland 1796 nach Weimar eingeladen, um seinen Schauspielern zu
beweisen, „wie gut Kunst und Natur sich vereinen lassen
Wohin kamen nun die
Ringe?
Einer
gelangte an Burckhardsberg. Er ist für die Geschichte der Schauspielkunst
von keinerlei Bedeutung. Und was geschah mit den anderen?
Sie
gingen offensichtlich verloren oder landeten im Trödlerladen. Dass einer,
ob echt oder unecht, schließlich an Bassermann
gelangte und von ihm 24 Jahre lang gehütet wurde, macht diesen Ring
begehrenswert genug.
Der Legende nach, wie sie Haase im Brief an Bassermann erzählt, gab Iffland den Ring an Ludwig Devrient weiter, einen der genialsten deutschen Schauspieler aller Zeiten, der seine Zuseher in die Abgründe menschlicher Leidenschaften schauen ließ. Iffland nannte ihn einen Menschendarsteller und meinte damit den Gipfel, den ein Schauspieler erklimmen kann.
Ludwig Devrient
Devrient
wurde auch unsterblich durch seine Freundschaft mit E.T.A. Hoffmann, mit dem er
in Luthers und Wegeners Weinkeller die Nächte durchzechte. Die
Maßlosigkeit, die ihm als Künstler und als Freund, im Trinken ebenso
wie im Ausloten einer Rolle auszeichnete, zehrte an seinen Kräften.
Während einer Lear-Vorstellung im Berliner Nationaltheater brach er
zusammen. Nicht ganz 130 Jahre später brach am Burgtheater in Wien
gleichfalls einer der größten deutschen Schauspieler während
einer Lear-Vorstellung zusammen: Werner Krauß. Vieles von Ludwig Devrients
Unergründlichem und Bizarrem schien in Werner Krauß wiedererstanden
zu sein. Devrient starb am 29. Dezember 1832, zehn Jahre nach seinem Freund
E.T.A. Hoffmann, dessen Tod er nicht überwinden konnte und an dessen Grab
er zahlreiche Nächte mit partnerlosen Zwiegesprächen verbrachte.
Klänge aus Mozarts „Don Giovanni“ erleichterten Devrient das
Sterben. Ludwig Devrient hatte drei
Neffen, die sich zu ihrem Onkel verhalten wie der Schwarzwald zum Montblanc.
Dem jüngsten, Emil Devrient, soll Ludwig den Ring vermacht haben. Er war der
Star des Dresdener Hoftheaters und dürfte der erste deutsche Schauspieler
sein, der den Hofratstitel erhalten hat, eine seltene Auszeichnung, ehe
Republiken Hof und Titel degradierten. Die Zeitgenossen Emil Devrients,
insbesondere die weiblichen, schwärmten von seiner Eleganz, Schönheit
und edlen Sprache. Als Reisestar nahm er schon unsere Zeitmode vorweg. Er gab
an die 200 Gastspiele.
Emil Devrient
Hätte
sich Emil Devrient mit seinem Bruder
Carl August nicht zerstritten, vielleicht wäre der Ring an seinen Neffen
Max Devrient gekommen und damit früher noch ein erbliches Kleinod des
Burgtheater-Ensembles geworden, als dessen Mitglied Max Devrient Jahrzehnte
hindurch die Wiener begeisterte. So aber gab Emil Devrient - er starb 1872 -
den Ring an Döring weiter.
Mit Emil Devrient hatte Johann Friedrich Wilhelm Theodor Hering, der sich als Schauspieler Theodor Döring nannte, gemeinsam, dass er nicht altern wollte. Noch als 6ojähriger spielte er die Rollen, die er schon als 35jähriger gespielt hatte, und war den Jungen böse, wenn sie in diesen Rollen Erfolge erzielten. Er kam 1845 nach Berlin als Nachfolger C. Seydelmanns. In Berlin war noch immer nicht der unvergleichliche Ludwig Devrient vergessen. Gegenüber Devrient verhielt sich Döring wie die Begabung zum Genie. Er galt als größter Mimiker seiner Zeit und verfügte über alle Register schauspielerischer Darstellungsweisen. Der Mantel Gottes streifte ihn jedoch nicht.
Theodor Döring
Döring vermachte den Ring Friedrich Haase und von diesem Zeitpunkt an beginnt die Geschichte des Ringes aus dem Dunkel der Legende zu treten.
DIE GESCHICHTE DES
RINGES
Friedrich Haase wurde als Sohn des ersten Kammerdieners des Kronprinzen und nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. im Berliner Schloss geboren. Der Kronprinz übernahm sogar die Patenstelle, und das königliche Wohlwollen, zumeist in Form von Handschreiben, begleitete Haase auch in seinem späteren Schauspielerleben. Deshalb munkelten seine Theaterkollegen, dass Haase ein illegitimer Hohenzollernspross sei, was dieser nicht ungern zu hören schien. Jedenfalls fühlte er sich in Adelskreisen besonders wohl, was in seinem Beruf nicht allgemein der Brauch war. Insbesondere in Prag, wohin er nach wenig erfolgreichem Auftreten in Weimar und Potsdam gekommen war, verwöhnten ihn die dortigen Adelsgeschlechter, vor allem die Colloredos, aber auch das Publikum, das in Haases elegante Art verliebt schien.
Man trug Haase-Hüte und Haase-Krawatten.
Friedrich Haase
Die
Eleganz blieb auch späterhin das hervorstechendste Merkmal seiner
Schauspielkunst. Karlsruhe, München, Frankfurt, Petersburg und der
Broadway in New York waren die Stationen seines Wirkens. Sein Verdienst am
Broadway wird mit dreißigtausend Dollars angegeben. Nach einer
mehrjährigen Tätigkeit als Direktor am Leipziger Theater ging er nach
Berlin und beteiligte sich an der Gründung des Deutschen Theaters. Haase
gehörte zweifellos zu den erfolgreichsten Schauspielern und stellte einen
Typ dar, dem auch heute der Erfolg in den Schoß fallen würde. Er
vermachte den Iffland-Ring Albert Bassermann
und schrieb diesem den berühmten Brief, der als die Geschichtsurkunde des
Ringes gelten kann. Bassermann, der den Ring selbst nie getragen hat,
ließ ein neues Etui anfertigen und vermachte das Kleinod nacheinander Girardi,
Pallenberg und Moissi. Als alle drei starben, wollte er den Ring
nicht mehr weiter verleihen und übergab ihn am 10. Oktober 1935 der
Theatersammlung der österreichischen Nationalbibliothek in Wien.
Hier
war es zunächst recht still um den Ring, bis ihn Dr. Egon Hilbert, Leiter
der Bundestheaterverwaltung von 1946 bis 1953, entdeckte. Hilbert benutzte die
Gelegenheit, als Bassermann im November 1946 in Wien zur Entgegennahme des
Ehrenbürgerrechtes dieser Stadt weilte, um mit dem Schauspieler zwei
Unterredungen herbeizuführen. Bei der ersten Unterredung, bei der Hilbert
die Frage nach dem Schicksal des Ringes stellte, brachte Bassermann in
unmissverständlicher Form zum Ausdruck, dass er nicht die Absicht habe,
den Ring wieder an sich zu nehmen. Bei der zweiten Unterredung erklärte
der Künstler, Hilbert möge den Ring bis zu seinem (Bassermanns) Tode
aufheben und sodann nach eigenem Gutdünken über ihn verfügen.
Entspricht Hilberts Darstellung, die er am 3. Februar 1954 schriftlich niederlegte, der Wahrheit, woran nicht gezweifelt werden kann, so war Bassermann einverstanden, dass der Ring nach seinem Tode weiter verliehen werde. Bassermann starb am 11. Mai 1952 im Alter von 84 Jahren. Der Tod ereilte ihn auf einer Flugreise von den USA, wo er nie heimisch werden konnte, nach Europa, dem seine ganze Liebe gehörte. Seine Bewunderer nannten ihn den humansten unter Deutschlands Darstellern. Bassermann war wohl der einzige Ringträger, dem keiner das Kleinod neidete.
Albert Bassermann
Nach
Bassermanns Tod fühlte sich Egon Hilbert als einzig Bevollmächtigter,
den künftigen Ringträger zu bestimmen. Er fragte deshalb im Sommer
1954 bei Werner Krauß an, ob er den Ring annehmen würde, doch der
Schauspieler lehnte ab.
Die
Ruhe des Ringes aber war gestört.
Am
16. Juni 1954 stellte der damalige Direktor des Burgtheaters, Josef Gielen, den
Antrag, den Iffland-Ring am 23. Juni 1954 Werner Krauß anlässlich
seines 70. Geburtstages zu
übergeben. „Es wird“, schreibt Gielen in seinem Antrag,
„am deutschsprachigen Theater sicherlich begrüßt werden, wenn
der Iffland-Ring aus seiner Verborgenheit in einer Schublade hervortritt und
seiner Bestimmung zugeführt wird.“
Die
Bundestheaterverwaltung griff die Idee zwar auf, doch war inzwischen Dr.
Hilbert als Leiter der Bundestheaterverwaltung von Ernst Marboe abgelöst
worden, der sich scheute, einen so entscheidenden Schritt, der voraussichtlich
politische Nachwirkungen haben könnte, von sich aus zu tun. Auch im
Burgtheater hatte mit Beginn der Herbstsaison 1954 Dr. Adolf Rott die
Direktionsgeschäfte von Josef Gielen übernommen. Beide, Marboe
und Rott, wurden beim Kartellverband deutschsprachiger
Bühnenangehöriger, dem Deutschland, Österreich und die Schweiz
angehören, vorstellig, und dieser griff mit beiden Händen zu. In
einer außerordentlichen Sitzung am 19. Oktober 1954 in Stuttgart
beschloss der Kartellverband, Werner Krauß
als nächsten Träger des Ringes vorzuschlagen. Der Beschluss erfolgte
einstimmig, also auch mit der Stimme des Schweizer Vertreters, Dr. Fritz Jenny
aus Basel, der die Stellung eines Ehrenpräsidenten des Kartellverbandes
bekleidete. Werner Krauß erklärte am 22. Oktober 1954, dass er
bereit sei und sich freuen würde, den Ring anzunehmen.
Am
gleichen Tag traf ein Telegramm in der Bundestheaterverwaltung ein, in dem der
Schweizerische Bühnenkünstler-, Chor- und Ballettverband gegen die
Verleihung des Ringes an Werner Krauß protestierte, weil dieser in
Gesinnung und Haltung nicht dem Vorbild entspräche, dass der Träger
des Ringes als Künstler und Mensch darstellen soll.
Das
Telegramm konnte jedoch den Gang der Ereignisse nicht mehr aufhalten. Die
zuständigen Stellen sahen in diesem Telegramm nicht den Ausdruck der
Empörung Schweizerischer Bühnenkollegen, sondern das Werk einer
bestimmten Gruppe, welche die Vergangenheit nicht so schnell begraben wissen
wollte. Die Bundestheaterverwaltung befand sich in großer Sorge, es
könnte die Atmosphäre auch noch dadurch vergiftet werden, dass
Bassermanns Witwe gegen die Verleihung des Ringes an Werner Krauß Protest
erhebe. Direktor Rott erklärte sich bereit, mit Frau Else Bassermann
über diese Angelegenheit zu sprechen. Else Bassermann erhielt eine
Ehrengabe in Form eines Geldgeschenkes und wurde zur Feier eingeladen. Sie
entschuldigte sich jedoch brieflich, drückte in vornehmer Form ihre
Bedenken gegen die Verleihung aus und blieb der Ring-Überreichung fern.
Die
Bundestheaterverwaltung geriet noch aus einem anderen Grund in Verlegenheit.
Der Ring war zwar am 19. Oktober Werner Krauß zugesprochen worden, doch
befand er sich gar nicht im Besitz der Bundestheaterverwaltung. Dr. Hilbert
hatte nämlich nach seiner Besprechung mit Bassermann den Ring aus dem
Theatermuseum in die Bundestheaterverwaltung bringen lassen und ihn dann bei
seinem Ausscheiden aus dieser nach Hause mitgenommen. Er hielt sich noch immer
allein berechtigt, den Ring weiter zu verleihen.
Marboe
geriet in Bedrängnis. Er hatte schon am 7. Oktober Hilbert in einem Brief
ersucht, den Ring zurückzusenden. Hilbert stellte sich jedoch
zunächst taub. Erst als Minister Dr. Kolb, der Hilberts Rücktritt
bewirkt hatte und sich selbst im statu abeundi befand, diesen
brieflich um die Rückgabe des Ringes ersuchte, ließ sich Hilbert
dazu bewegen. Gewissermaßen im letzten Moment, am 25. Oktober 1954,
sandte er Minister Kolb den Ring, legte aber in einem Brief dar, dass er nur
dem Minister zuliebe den Ring zurückstelle. Zwischen den Zeilen jedoch
ließ er durchblicken, dass er sich nach wie vor als Bevollmächtigter
Bassermanns betrachte.
Mit
der Rückgabe des Ringes war für die Bundestheaterverwaltung die
schwerste Hürde überwunden. Der neu ernannte Unterrichtsminister, Dr.
Heinrich Drimmel, erklärte sich bereit, den Ring Werner Krauß im
Rahmen einer Feier im Burgtheater zu überreichen.
Am
19. November 1954 erließ Drimmel auf Ersuchen des Kartellverbandes und
kraft eigener Autorität die Richtlinien, nach denen in Hinkunft die
Verleihung des Iffland-Ringes vor sich zu gehen hat. In sieben Punkten wird
festgelegt, dass ab nun spätestens drei Monate nach Verleihung des Ringes sein
jeweiliger Träger den Nachfolger bestimmen müsse,
dass
er den Namen des Betreffenden aufzuschreiben und das Schriftstück in einem
verschlossenen Briefumschlag der Bundestheaterverwaltung zu übergeben
habe, dass der Ringträger jederzeit seinen Vorschlag widerrufen
und einen anderen Nachfolger bestimmen könne. Sollte eine Verfügung
unterbleiben, so hat die Bundestheaterverwaltung den Kartellverband
deutschsprachiger Bühnenangehöriger zu ersuchen, einen Vorschlag zu
unterbreiten.
Der
Ring bleibt im zweckgebundenen Eigentum der Republik Österreich. Der
jeweilige Ringträger hat dafür Sorge zu tragen, dass nach seinem Tod
der Ring an die Bundestheaterverwaltung zurückgestellt wird. Die
Überreichung des Ringes erfolgt durch den österreichischen
Bundesminister für Unterricht. Sollten alle diese Bestimmungen aus irgend
einem Grund nicht durchgeführt werden können, so hat die
Bundestheaterverwaltung ein Kollegium einzuladen, das
aus drei Mitgliedern des Burgtheaters und je einem der bedeutendsten Theater
Deutschlands und der Schweiz bestehen soll. Diesem würde dann das
Vorschlagsrecht zukommen.
Durch diese Bestimmungen ist jede Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Kette der Ringträger nochmals abreißen könnte. Allerdings kam auch ein stark bürokratisches Moment in eine Institution, in der bis dahin persönliche Eigenwilligkeit die Entscheidung gefällt hatte. Zweifellos ging dadurch viel Reizvolles verloren. Den Ring der Geheimnisse gibt es nicht mehr.
Werner Krauss
Am
28. November 1954 wurde der Iffland-Ring an Werner
Krauß verliehen. Am 12. Dezember des gleichen Jahres
übergab Krauß der Bundestheaterverwaltung einen versiegelten
Briefumschlag, der die Bestimmung über seinen Nachfolger enthielt. Werner
Krauß lebte noch fünf Jahre und erreichte mit seinem König
Philipp, seinem Rudolf II. und seinem König Lear drei Gipfelpunkte der
Schauspielkunst. Er starb am 20. Oktober 1959 als letzter der deutschen
Schauspieler-Titanen. Am 9.JUni 1958 schrieb er für Josef Meinrad, den er schon 1954 zum Nachfolger
bestimmt hatte, den Brief, in dem er ihm die Gründe seiner Entscheidung
mitteilt: „Sie, lieber Josef Meinrad, sind für mich
in Ihrer Einfachheit, Ihrer Schlichtheit, Ihrer Wahrhaftigkeit der
Würdigste.“
Wie
sehr sich Werner Krauß dem Wiener Burgtheater verbunden fühlte, geht
auch aus der Mitteilung seiner Witwe hervor, dass ihr Gatte den Ring Alma
Seidler hinterlassen hätte, wäre nicht durch die Tradition eine
Frau vom Ringerbe ausgeschlossen. Alma Seidler aber ist das treueste,
bescheidenste und beste Ensemblemitglied des Burgtheaters, obwohl ihr Name
über die Grenzen Österreichs hinaus kaum einem größeren
Publikum bekannt sein dürfte. In der deutschen Bundesrepublik wurde die
Entscheidung Werner Krauß‘ nicht allgemein gebilligt. Viele
meinten, dass Gustav Gründgens der berechtigte Nachfolger gewesen
wäre. Zweifellos kommt Gründgens dem Stifter des Ringes, August Wilhelm
Iffland, am nächsten, weil er im Theater- leben auf dreifache
Art eine überragende Stellung einnimmt: als faszinierender Schauspieler.
als richtungweisender Regisseur und als bester deutscher Theaterdirektor. Doch
wer kann die Beweggründe eines so eigenwilligen und oftmals in
geheimnisvollen Bereichen des Geistes spintisierenden Mannes wie Werner
Krauß ermessen? ‘Warum hat einer der dämonischsten
Schauspieler den Ring einem Kollegen vererbt, dem - im Gegensatz zu Girardi - das Dämonische fremd zu
sein scheint? Vielleicht ist es aber gerade dieser Mangel, warum das
Menschliche in Meinrads Darstellung so rein aufleuchtet. Vielleicht ist es auch
das Wunder der Schlichtheit, das Krauß in Meinrads Darstellung
berührte und zu seinem Sohn sagen ließ: „Sieh dir den Meinrad
an, der ist ein wirklich guter Schauspieler.“
Als
der Leiter der Bundestheaterverwaltung, Dr. Karl Haertl, einen Tag nach der
Beisetzung von Werner
Krauß das Mitglied des Wiener Burgtheaters, Kammerschauspieler
Josef Meinrad,
in die Bundestheaterverwaltung rufen ließ, um ihm jenen Brief zu
überreichen, den Krauß‘ Witwe gebracht hatte, standen dem
Liebling der Wiener Tränen in den Augen. Mag für die, welche die
Szene miterlebten, die Entscheidung Werner Krauß‘ auch überraschend
gekommen sein, in diesem Augenblick waren jedoch alle glücklich
darüber.
Am
23. November 1959 erhielt Josef Meinrad den Ring. Feierlich und aus den
Händen des Unterrichtsministers, wie es die Bestimmung vorsieht, Ob ihm
wohl bisweilen die Worte in den Sinn kommen, die Werner Krauß an das Ende
seines Briefes setzte und die auch für alle Ringträger vor ihm
geschrieben sind? „Gedenken Sie manchmal meiner"
Josef Meinrad
Anekdote
hierzu:
Am Sterbebett von Werner Krauß soll dieser, zu einem "Erben" befragt, angesetzt haben
"Mein Rat ist ...". Es soll nur bis
"Mein Rat" gereicht haben, was die Anwesenden als Meinrad, für Josef Meinrad, aufgefasst haben. Letztere, auch von Josef Meinrad erzählte
Anekdote ist nachweislich falsch, da Werner Krauß seinen Nachfolger testamentarisch
festgelegt hat.
Meinrad
übertrug den Iffland-Ring an Bruno Ganz,
der ihn von 1996 bis 2019 trug.
Anekdote
hierzu:
... Niemand weiß
plötzlich so genau, wo Meinrads Brief sich befinden könne! Im Ministerium?
In der Bundestheaterverwaltung? In Meinrads Nachlass? Schreckensszenarien
werden wach, Zeitungsspalten voll. Im Falle der Nichtauffindung müsste der
Kartellverband deutschsprachiger Bühnenangehöriger, wie schon bei
Werner Krauß, über den neuen Ringträger beraten. Pepi, schau oba! Endlich, bei den Bundestheatern, in der so genannten
Registratur, wo schon Meinrads erstes Vermächtnis "in
Verstoß" geraten war und der Schauspieler um ein Duplikat ersucht
werden musste, wird der Brief nach tagelanger Stöberaktion doch gefunden.
Eine Verschluss-Sache, gut getarnt.
Zu diesem Zeitpunkt führen
die Wettbüros Brandauer vor Lohner, Heltau und Schenk.
Am Tag nach Josef Meinrads Begräbnis um 9.30 Uhr, so die letzte Kunde,
eine halbe Stunde vor der Pressekonferenz, wird der Träger des
Ifflandrings vom Kunstminister telephonisch verständigt. Nur wenige
Burgschauspieler wollen zu diesem Zeitpunkt von ihren Müttern angerufen
werden. Blitzlichtgewitter.
Der Minister liest vor:
"Wien, 26. Jänner 1984.
Mein Wunsch ist es, daß
nach meinem Tode Bruno Ganz den Ifflandring erhält.
Meinrad Josef".
Als der Reporter im Kaffeehaus ein spätes Frühstück einnimmt,
schreit die Wirtin mit dem Personal: "An Schweizer ham
s' uns geben! Der Ring g'hört
do einem von uns!"
Josef Meinrad hat sich mit seinem
noblen Iffland-Testament posthum als der Thomas Bernhard der Schauspielkunst
erwiesen.
Sein letzter Auftritt war sein
erster Streich. Er hat seinen letzten Gruß fürwahr an der Grenze
zwischen alter und neuer Friedhofserde platziert. Jetzt braucht Wien viel
Trost. Trost, der für die Tageszeitung „Die Presse“ darin
besteht, dass Bruno Ganz ein "makelloses, nicht
regional zuordenbares , Burgtheaterdeutsch`"
spricht. Immerhin. Trost, der vielleicht auch daraus erwachsen kann, dass Meinrad
1984 seine erste Wahl von 1959 geändert hatte. Wer war's? Tratschke
weiß: ein Burgschauspieler. Bestimmt.
Bruno Ganz
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DOKUMENTE
Brief Friedrich Haases
an Albert Bassermann
Berlin, Weihnacht
1908
Lieber
Herr Bassermann!
Wenn
Sie diese Zeilen nebst Beilage erhalten, bin ich dort, von deß
„Bezirk kein Wanderer wiederkehrt !‘
—
Ich
habe öfter den Versuch gemacht Ihnen näher zu kommen, es war jedoch nicht
zu ermöglichen. „ Wahr ist es, und das ist Schade — und schade
daß es „wahr ist!“ — Da nun
für meine persönliche Werthschätzung der Künstler allezeit
von dem Menschen getrennt blieb, so stehe ich nicht an, Ersterem, der meine
aufrichtige Hochschätzung besaß, den befolgenden Ring
übersenden zu lassen, den ich mit Stolz lange
Jahrzehnte hindurch
besaß
und trug. Es ist ein Ring, der auf seiner Fläche das Porträt Ifflands
enthält, das in Eisen geschnitten und von vielen Diamanten eingefaßst ist. — Iffland gab diesen Ring bei
seinem letzten Gastspiel in Breslau dem jungen, damals in seiner höchsten
künstlerischen Blüthe stehenden Ludwig
Devrient. Dieser schenkte ihn vor seinem Tode seinem Neffen Emil Devrient, der
ihn seinem Verwandten Theodor Döring vererbte und von diesem erhielt ich
— Friedrich Haase — ihn, mit dem kathegorischen
Wunsche ihn nur dem Schauspieler bei meinem Ableben überlassen zu wollen,
den ich zur Zeit für eine solche Ehrengabe als Würdigsten erachtete.
Ich
erfülle nun hiermit die Ordre meines geliebten unvergesslichen Freundes
und übergebe diesen historisch gewordenen Ring .
/ . Albert Bassermann, weil er unter den bekannt gewordenen deutschen
Bühnenkünstlern aus gar mancherlei Gründen augenblicklich mir am
bedeutsamsten erscheint, diesen Schmuck zu empfangen. Nehmen Sie somit diesen
Ring lieber Herr Bassermann, tragen Sie ihn, bleiben Sie immerdar dieser
seltenen Auszeichnung würdig, vererben Sie ihn ebenfalls rechtzeitig
demjenigen Bühnenkünstler, den Sie zur Zeit für den Geeignetsten
erachten werden und erinnern Sie sich zuweilen freundlich Ihres alten Kameraden
Friedrich
Haase
Brief Albert
Bassermanns an Alexander Girardi
Main lieber herr Girardi,
der
mir fon Friedrich Haase fermachte
Iffland-Ring fält nach meinem tot lnen zu, wail Si mir unter den
jetzigen großen schauschpilern durch di ainfachhait und innerlichkeit Irer Kunst den schtärksten aindruck gemacht haben. —
;
Mit
herzlichen grüssen
Ir
Albert
Bassermann
Widmungsschreiben
Albert Bassermanns an das Theatermuseum
Wien, 10. Oktober
1935
An
die Leitung des Bundestheatermuseums in Wien
Der
mir fon Friedrich Haase zur waitergabe
an den „Würdigsten“ fermachte
Iffland-Ring war fon mir zuerst Alexander Girardi, dann Max Pallenberg und schlißlich Alessandro Moissi
zugedacht.
Dise drai
maister der schauschpilkunst
schtarben in der follkraft ires schaffens.
Diser seltsame umschstand liß in mir den entschluß refen, den ring keinem darschteller mer waiterzuraichen.
Ich
übergebe den „Iffland-Ring“, der mir nur „auf
Zeit“ anfertraut war, in demselben Sinne dem
„Bundestheatermuseum“ in Wien, wo der ring bis zu mainen tot aufbewart sain soll.
Waiterhinaus kann ich über
den ring nicht ferfügen,
da mir die rechtsferhältnisse in disem schpeziellen fall nicht
bekannt sind.
Albert
Bassermann
Brief des Leiters der
Bundestheaterverwaltung. Ernst Marboe, an seinen Vorgänger, Sektionschef
Dr. Egon Hilbert
Wien, 7. Oktober 1954
Lieber
Freund!
Anläßlich der Räumung des
Schreibtisches im Leiterzimmer der Bundestheaterverwaltung zu den
Weihnachtsfeiertagen 1953 hast Du, wie man mir mitgeteilt hat, den Iffland-Ring
mit Dir genommen. Zwischendurch hat Frau Müller Dich in meinem Namen im
kurzen Wege einige Male gebeten, den Ring an die Bundestheaterverwaltung
zurückzustellen. Ich wiederhole nun dieses Ersuchen auf diesem Wege und
bitte Dich dringlich, den Ring, der
seinerzeit
von Albert Bassermann am 10. Oktober 1935 dem Bundestheatermuseum
übergeben worden ist, nunmehr wieder der Bundestheaterverwaltung
zurückzugeben.
Es
ist mir hierbei geläufig, daß zwischen Dir
und Albert Bassermann nach dem Jahre 1945 über das Problem der
Weiterreichung des Iffland-Ringes Unterredungen stattgefunden haben und ich
kenne auch die von Dir getroffene Festhaltung im Gegenstande, wonach Bassermann
den Ring nicht wieder übernehmen wollte, vielmehr Du über den Ring
nach seinem Tode verfügen solltest.
Ich
zitiere Deine eigene Auffassung aus Deinem Schreiben vom 27. 9. 1952 an Herrn
K. G. Klietmann, wo Du ausführst: „Da aber
dieser Auftrag des verstorbenen Künstlers nicht an mich als Privatperson,
sondern in meiner dienstlichen Eigenschaft gerichtet war . .“
Ich
wiederhole also abschließend das Ersuchen um eheste Rückgabe des
Iffland-Ringes.
Mit
herzlichen Grüßen,
Dein
Marboe
Brief Dr. Hilberts an
Bundesminister Dr. Ernst Kolb
25. Oktober 1954
Sehr
verehrter Herr Minister!
Ich
habe die Auszeichnung, Ihre geschätzten Zeilen vom 20. Oktober 1954,
welche ich am Samstag, den 23. Oktober erst erhalten habe, mit Dank zu
bestätigen. Ich darf eingangs ausführen, daß
der Ihnen geschilderte Sachverhalt bzw. die sich dann daraus ergebende
Konklusion auf Irrtümern beruht und den Tatsachen nicht entspricht. Aber
unabhängig davon ist es mir wirklich ein aufrichtiger Herzenswunsch,
Ihnen, sehr verehrter Herr Minister,
der
Sie doch im Begriffe sind, das Amt zu verlassen, den in Ihrem Schreiben
geäußerten Wunsch selbstverständlich gerade jetzt zu
erfüllen. In dieser meiner Haltung liegt mehr als eine Geste.
Ich
beehre mich deswegen gleichzeitig Ihnen den in Frage stehenden Iffland-Ring zur
weiteren Verfügung zu stellen, womit ich jeder weiteren Verantwortung
über das zukünftige Schicksal dieses Ringes enthoben bin.
Genehmigen
Sie, sehr verehrter Herr Minister, die Versicherung meiner vollkommenen
Ergebenheit.
Hilbert
Amtsvermerk
Am
heutigen Tage wurde vom Sekretariat des Bundesministers für Unterricht dem
Leiter der Bundestheaterverwaltung der Iffland-Ring samt Etui,
sowie
die Abschrift eines Schreibens von Sektionschef Dr. Hilbert an Bundesminister
Dr. Kolb vom 25. Oktober 1954 übergeben. Der Inhalt dieses Schreibens
enthält wieder die unrichtigen Behauptungen Dr. Hilberts, wie schon in
dessen früheren Schreiben. Im Hinblick auf die Klarstellung des Sachverhaltes,
sowie auf die vollzogene Übergabe des Ringes erübrigt es sich aber,
darauf näher einzugehen.
Der
Ring steht nunmehr der in Aussicht genommenen Verwendung zur Verfügung.
Wien, 26. Oktober
1954.
gez. Marboe
„Neuer
Kurier“ vom 20. November 1954.
Der
Iffland-Ring für Werner Krauß
Wien,
20. November (Eigenbericht)
Werner
Krauß wird am 28. November auf der (halbfertigen) Bühne des
Burgtheaters am Ring auf einen Vorschlag Burgtheaterdirektors Dr. Adolf Rott
der berühmte Iffland-Ring übergeben werden. Als würdigsten
Anwärter hatte seinerzeit Hilbert schon Krauß vorgeschlagen.
Der
Iffland-Ring, die größte Auszeichnung, die einem Schauspieler
deutscher Zunge zuteil werden kann, wird nun, nachdem er jahrelang in einem
Tresor schlummerte, wieder seiner ursprünglichen Bestimmung
zugeführt. Der letzte Träger des Ringes, der nur ideellen Wert
besitzt, war Albert Bassermann. Der Ring mußte,
nach alter Tradition, vom jeweiligen Träger dem würdigsten Nachfolger
testamentarisch vermacht werden. Bassermann hatte den Ring Alexander Moissi
zugedacht. Als Moissi starb, streifte Bassermann den Ring mit dem Bemerken ab, daß nun kein Schauspieler
mehr
würdig sei, diesen Ring zu tragen. Schließlich übergab er ihn
doch der Direktion des Burgtheaters. Als Bedingung stellte er, daß sämtliche Leiter der bedeutendsten deutschen
Bühnen bei einer Wiederverleihung des Ringes ihre Zustimmung geben müßten. Dies ist nun geschehen. Als
größter Schauspieler wurde einstimmig Werner Krauß anerkannt.
Telegramm
An
das
Bundesministerium
für Unterricht
Bundestheaterverwaltung
Wien
Der
von Albert Bassermann hinterlassene Iffland-Ring stellt ein Symbol dar -stop- Der jeweilige Träger muß
als Künstler und Mensch Vorbild sein -stop- Die
Vergangenheit des Herrn Werner Krauß entspricht in Gesinnung und Haltung
dieser Voraussetzung nicht -stop- Wir protestieren
nachdrücklich gegen die Verleihung des Ringes an ihn
Schweizerischer
Bühnenkünstlerverband
und
Schweizerischer Chor- und Ballettverband
Mitglied
des Kartellverbandes deutschsprachiger Bühnenangehöriger
Zürich,
22. November 1954
Brief der Gattin
Albert Bassermanns, Frau Else Bassermann, an die Burgtheaterdirektion.
Wien, 22. Oktober
1954
Sehr
geehrte Direktion,
leider
kann ich Ihrer Einladung nicht folgen, da ich schon durch anderweitige
Verpflichtungen gebunden bin. Im Übrigen muß
ich aber meinen Mann als Mensch einmaligen, ritterlichen Charakters gegen die
unverschämte Beschuldigung in Schutz nehmen, er hätte nach Moissis
Tode sich den Ring vom Finger gezogen mit dem Bemerken „nun sei niemand -
kein Schauspieler mehr würdig, diesen Ring zu tragen! (Neuer Kurier).
Er
hat ihn 1. Girardi, 2. dann Pallenberg, 3. dann Moissi gegeben - und erst als
auch dieser starb, ihn endgültig dem Burgtheater zwar nicht, doch dem
Wiener Theatermuseum vermacht! Ein einziges Mal hat er den Iffland noch
erwähnt und zwar nachdem er Kortner im „Vater“ gesehen hatte!
Getragen
hat er den Ring nie, sondern nur ein schönes Etui dafür machen
lassen!
Max
Reinhardt schloß seinen letzten Brief mit den
Worten: „Noch in der verkommensten Gestalt bleiben Sie was Sie sind: ein
Edelmann! Für Sie ist der Iffland-Ring, der die wundervolle Lessingsche
Parabel einschließt, nur ein Symbol. Sie selbst haben die Gabe, sich vor
Gott und Menschen angenehm zu machen. Ich liebe Sie, Ihr Max Reinhardt.“
Mögen
diese beiden großen .Männer - längst entrückt dieser
traurigen Welt hier - Ihre Wahl gutheißen.
Hochachtend
Else
Bassermann
Brief Werner
Krauß‘ an Josef Meinrad
Wien, den 9. Juni
1958
Lieber
Josef Meinrad,
am
28. November 1954 erhielt ich den Iffland-Ring. Am 6. Dezember 1954
übergab ich der Bundestheaterverwaltung meine Verfügung über den
Nachfolger. Der Träger des Ringes sind nun Sie, lieber Josef Meinrad.
Nicht die Meinung der Collegen ist maßgebend,
nicht die öffentliche Meinung ist maßgebend, wer den Ring bekommt,
nur der jeweilige Träger hat darüber zu verfügen.
So
hat Friedrich Haase den Ring dem jungen modernen Schauspieler Albert Bassermann
hinterlassen, Albert Bassermann bestimmte zuerst Alexander Girardi, er starb,
dann Alexander Moissi, er starb, dann Max Pallenberg, er stürzte mit dem
Flugzeug ab. Und da Bassermann abergläubisch war, bestimmte er keinen
Nachfolger mehr. Er übergab ihn der Bundestheaterverwaltung. Diese
ließ die österreichischen - deutschen - schweizerischen
Bühnenangehörigen abstimmen, so kam der Ring an mich.
Nun
können Sie, lieber Josef Meinrad, mich nicht mehr fragen, warum ich Sie
zum Träger bestimmt habe. Da muß ich es
jetzt niederschreiben! Sie, lieber Josef Meinrad, sind für mich in Ihrer
Einfachheit, Ihrer Schlichtheit, Ihrer Wahrhaftigkeit der Würdigste.
Darum
bitte, nehmen Sie den Ring, tragen Sie ihn, und gedenken Sie manchmal meiner
Ihr
Werner
Krauß
EPILOG
Es
war ein geheimnisvoller Ring - dieses dunkelviolette, von Brillantensplittern
umrandete Oval mit dem Profil des Schauspielers Iffland
- bis zu dem Tag, an dem sich der Kartellverband deutschsprachiger
Bühnenangehöriger und die österreichische Unterrichtsverwaltung
des Ringes annahmen. Man traf gesetzliche Maßnahmen und erließ
Statuten, so dass künftighin keine schauspielerische Eigenwilligkeit eine
verworrene Lage schaffen kann. Sollte einer der kommenden Ringträger
nochmals die Absicht haben, den Ring verwaist zurückzulassen, was
würde es ihm nützen... Der oberste Leiter der österreichischen
Kunstverwaltung, der Bundesminister für Unterricht, Dr. Drimmel, bestimmte
aus eigener Machtvollkommenheit die Instanz, die im Fall der Fälle den
Ringträger vorzuschlagen hat: den Kartellverband. Um ihn aber braucht
niemand Sorge zu hegen. Er wird fortbestehen, selbst wenn es keine großen
Schauspieler mehr geben sollte.
Gerade
die Ungewissheit war nun das Besondere des Ringes. Keiner kennt den wirklichen
Ursprung und keiner weiß, ob der Ring, der als Iffland-Ring
weitergereicht wird, überhaupt der echte ist. Doch was macht dies aus? Der
Glanz soll ja vom Träger, nicht vom Ringe kommen. Deshalb verstummte auch
nie das Streitgespräch, wer wohl der Beste und wer der Würdigste sei,
den Ring zu tragen. Wurde einmal von allen anerkannt, dass der beste
Schauspieler den Ring erhalten habe wie bei Werner
Krauß, so stiegen wieder Zweifel an seiner Würdigkeit auf und
Proteste gegen seine Wahl rauschten durch das Land.
Der
Ring hat kaum die Eigenschaft an sich, seinem Träger die Liebe der anderen
zu gewinnen. Eher schon Missgunst. Er dient auch mehr der Eitelkeit als der
Weisheit.
Dass
es gerade Friedrich Haase war, mit dem die
Geschichte des Ringes beginnt, machte das Kleinod noch umstrittener. Haase galt
nicht nur als der eleganteste Schauspieler seiner Zeit, sondern auch als einer
der eitelsten. Hatte sich deshalb Theodor Döring,
der Haase den Ring und die Legende vererbte, einen Scherz mit seinem eitlen
Kollegen erlaubt? Viele behaupten es und manches spricht dafür. Und doch
dürfte es sich eher um einen kleinen Schwindel, denn um einen Scherz
gehandelt haben. Die Legende, dass Iffland einen Ring gestiftet und
weiterverschenkt habe, scheint wahr, der Ring selbst jedoch, den Döring an
Haase weitergab, scheint falsch zu sein. Vielleicht ging wie in Lessings
Ringparabel der echte Ring verloren.
Döring
kannte Haase als seinen treuesten Bewunderer und teilweise auch Nachahmer.
Döring selbst war nicht weniger eitel als Haase. Er wollte als
größter Schauspieler seiner Zeit, für den er sich hielt, in der
Erinnerung fortleben. Das konnte er aber nur im Symbol des Ringes. Er vermachte
deshalb den Ring, den er vielleicht einem Antiquitätenladen gekauft hatte,
seinem Freund Haase mit dem Wunsch, ihn nur dem Schauspieler zu vererben, den
er für den würdigsten erachte. Haases Eitelkeit und Treue ihm
gegenüber verbürgten Döring, dass sein Vermächtnis
erfüllt und er auf diese Weise in der Erinnerung Unsterblichkeit eingehen
werde.
Haase
nahm 1896 Abschied von der Bühne. Die Vorstellung, wer den Ring nach
seinem Tod tragen werde, dürfte ihn intensiv beschäftigt haben. Er
dachte zunächst an Adalbert Matkowsky, den „Wagnersänger der
Sprechbühne“. doch Matkowsky ging seinem körperlichen Zerfall
entgegen.
"Weil
Matkowsky, dem ich ursprünglich den Ring zugedacht hatte, ihn wegen seiner
unheilbaren Krankheit leider nicht erhalten kann“, so schrieb Haase
Weihnachten 1908, vermachte er Albert Bassermann
das Kleinod.
Matkowsky
war zweifellos ein großartiger Schauspieler, an Kraft und Begabung sogar
einzigartig, doch er war gerade das nicht, was Haase veranlasst haben mochte,
Bassermann zu erwählen - ein moderner Schauspieler. Warum aber dachte
Haase damals, als er noch Matkowsky ausersehen hatte, nicht an den modernsten
Schauspieler seiner Zeit, der auch zugleich ihr größter war: an
Josef Kainz? In ihm fand sich alles vereint, was den Ringträger
auszeichnen soll: Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit und Würde. War es
vielleicht deshalb, weil die Ringträger es vermieden, einen
größeren als sich zum Nachfolger zu bestimmen? Döring
wählte Haase und nicht Friedrich
Mitterwurzer, Haase ursprünglich
Matkowsky und nicht Kainz, Bassermann wieder Moissi, obwohl in Deutschland zu
dieser Zeit mindestens vier größere Schauspieler lebten. Doch bei Bassermanns
Wahl hatte schon die Politik ihren Tribut erhalten. Wenn es anders kam, wenn
die Erben ihre Erblasser übertrafen, dann konnten es diese kaum
vorausahnen, wie bei Ludwig Devrient, der genialer als Iffland war, wie bei
Albert Bassermann, der Haase weit überragte.
Allerdings,
als Haase am Weihnachtstag des Jahres 1908 sein Vermächtnis an Bassermann
schrieb, begann Josef Kainz, sich immer mehr vom Theater zurückzuziehen.
Das Aristokratische seines Wesens litt unter der plebejischen Sucht nach dem Beifall
der Menge. Der Philosoph in ihm wehrte sich gegen die Welt des Scheins und der
Nachahmung. „Geistige Dirnen“ nannte er sie, die auf der Bühne
stehen. War seine Bühnenleidenschaft der Sehnsucht nach versunkenen
Epochen entsprungen, in denen der große Mensch freier schien als im
Zeitalter bürgerlicher Enge, so bedeutete seine Abkehr von der Bühne
eine in körperlichen Schmerzen errungene Weltverachtung. Von
tödlicher Krankheit befallen, suchte Kainz nur mehr nach dem Wesen der
Dinge und stand mit wissendem Lächeln in der Eingangshalle zur Ewigkeit.
So war der größte Revolutionär unter den deutschen
Schauspielern auch deren größter Träumer von fernen Zeiten zu
fernen Welten.
Bassermann
trat 1895 zum ersten Mal in Berlin auf Er war bis zu diesem Zeitpunkt nicht
allzu erfolgreich gewesen. Seine heisere Stimme schien ihn für das Theater
geradezu untauglich zu machen. Berlin aber bedeutete für Bassermann den
Durchbruch, insbesondere als er 1900 zu Otto Brahm und 1904 an
das Lessingtheater kam. Seine Stimme wurde nun zu seiner stärksten Waffe.
Gegenüber dem Schreien Matkowskys wirkte sein
Hüsteln, Räuspern, Krächzen tiefgründiger, virtuoser,
moderner. Haase aber sah in Bassermanns Eleganz ein Stück seiner selbst
wiedererstehen. Wie Döring in Haase, so hoffte Haase in Bassermann den Tod
zu überdauern. Haase starb am 17. März 1911. Drei Monate später
setzte Bassermann Wiens Liebling, Alexander Girardi, zum Erben ein. Bassermann zählte
dreiundvierzig Jahre, Girardi sechzig. Bassermanns Entschluss entsprang
zweifellos der Bewunderung, welche der Virtuose vor der Einfachheit empfindet.
Dass Girardi schon sieben Jahre später starb, hatte nichts Unheimliches an
sich, sondern war natürlich. Noch haftete dem Ring nichts Nibelungenhaftes an. Ausgenommen Ludwig Devrient, der 48jährig, und Iffland, der 55jährig starb, waren die anderen
Inhaber des Ringes sehr alt geworden. Emil
Devrient 69, Theodor Döring 75, Friedrich Haase 85.
Der
Ring wurde erst „merkwürdig“, als Bassermann nach dem Sieg des
Nationalsozialismus in Deutschland freiwillig ins Exil gegangen war, weil man
seiner Frau ihrer jüdischen Abstammung wegen verboten hatte, Theater zu
spielen. Bassermanns Schicksal teilten auch andere große deutsche
Schauspieler, unter ihnen Max Pallenberg und Alexander Moissi. Bassermann vermachte zunächst
Pallenberg den Iffland-Ring. Pallenberg aber, der originellste
Stegreifkomödiant deutscher Sprache, dessen improvisierte Wortspiele an
das Unwirkliche grenzten, fiel am 26. Juni 1934 einem Flugzeugunglück
über Karlsbad zum Opfer. Er hatte die tschechische Maschine „S
32“ benützt, die wegen ihrer Konstruktionsfehler von Piloten
„der fliegende Sarg“ genannt wurde. Die Einäscherung
Pallenbergs im Wiener Krematorium erfolgte am 30. Juni. Die „Neue Freie
Presse“, Wiens angesehenste Zeitung, berichtete darüber nur in ihrer
Rubrik „Kleine Chronik“. Die Zeit des großen Pathos war
angebrochen. Der Antipathetiker Pallenberg,
der das Lächerliche im Menschen zuoberst setzte, musste in einem Land
heimatlos werden, dessen Bewohner sich in ein neues „Heldenzeitalter“
heiser schrieen.
Fritzi
Massary, der Gattin Pallenbergs, wurde die Nachricht vom Tod ihres Mannes von
ihrem Nachbarn in Bissone am Luganer-See, Alexander
Moissi, überbracht. Schon neun Monate später ereilte den Botschafter
des Todes selbst der Tod. Moissi war am 12. März 1935, aus San Remo
kommend, mit hohem Fieber im Wiener Grand Hotel abgestiegen, musste aber, als
eine Lungenentzündung ausbrach, in ein Sanatorium überführt
werden. Am Abend des zweiundzwanzigsten März starb er im Alter von 55
Jahren. Auch seine Welt hatte bereits den Todesstoß erhalten. Der
überfeinerte Geschmack, dem ein Hauch von Verwesung anhaftete, passte
nicht mehr in eine Epoche, in der die Kraft über die Grazie, der Instinkt
über den Geist triumphierte.
Bassermann
hatte schon am 24. März, einen Tag vor der Einäscherung von Moissis
Leichnam, mitgeteilt, dass er dem Toten den Iffland-Ring vermacht habe.
Er
legte ihn auf Moissis Sarg, doch Wiens mutiger Burgtheaterdirektor, Hermann
Röbbeling, holte ihn wieder herunter und rettete ihn dadurch vor den
Flammen. Da es nur wenige Zeugen für dieses Geschehen gab, entstand bald
eine Legende, dass Bassermann den Ring nach Moissis Tod mit den Worten
abgestreift habe, es sei kein deutscher Schauspieler ferner mehr würdig,
den Ring zu tragen. Diese Legende wurde allerdings von Else Bassermann in einem
Brief an die Burgtheaterdirektion entschieden dementiert.
Bassermanns
Tat anlässlich der Totenfeier für Moissi entsprang zweifellos einem
augenblicklichen Einfall. Welche Gedanken und Gefühle ihn dabei bewogen
haben mochten, konnte niemals festgestellt werden. Sein Vorgehen erweckte
jedoch bei vielen den Eindruck, der große Schauspieler möchte die
Geschichte des Ringes zu Ende gehen lassen. Diese Annahme wurde noch
bestärkt, als Bassermann den Ring der Theatersammlung der
österreichischen Nationalbibliothek, in Briefen und Berichten als Wiener
Theater- oder Burgtheatermuseum bezeichnet, übergab. Diese Entscheidung
mag zum Teil auf die innere Ablehnung jener großen Schauspieler, die im
Deutschland Adolf Hitlers gewollt und ungewollt zu Position und Ehren gekommen
waren, zurückzuführen sein. Der Hauptgrund aber war es nicht.
Bassermann hätte noch immer den Ausweg gehabt, Fritz Kortner, einen der
eigenwilligsten deutschen Schauspieler, zu erwählen. Wenn er es nicht tat,
so war es doch wohl die Furcht, die der jähe und in so kurzem
Zeitabschnitt erfolgte Tod Pallenbergs und Moissis ausgelöst hatte. Dem
Ring schien etwas Dunkles, Drohendes anzuhaften. Im Museum aber, so dachte
Bassermann, konnte der Ring nicht mehr Schicksal spielen.
Bassermanns
Entschluss bedeutete das Ende der Legende. Das Vermächtnis des Stifters,
sei es nun Döring, sei es Iffland, wurde nicht erfüllt. Das Fortleben
in der Erinnerung schien unterbrochen. Politik, Unglück und Aberglaube
beendeten ein Kapitel deutscher Theatergeschichte, deren legendenhafter
Ursprung alles in den Nebel des Geheimnisses tauchte. Der Entschluss
Bassermanns hatte aber auch noch eine andere Auswirkung: Der Ring, der
eigentlich ein Berliner Ring gewesen - Emil Devrient
ausgenommen hatten alle Ringträger den Höhepunkt ihrer Karriere in
Berlin - kam nun aus Berlin nach Wien. Wieder könnte man verleitet werden,
dem Ring etwas Schicksalhaftes anzudichten. Die deutsche Katastrophe von 1945
entthronte Berlin nicht nur als deutsche Hauptstadt, sondern auch als Zentrum
deutscher Theaterkunst. Berlin hat verloren, was es besaß, während
Wien das Überlieferte bewahren und fortführen konnte.
Werner Krauß, der den Ring nicht erbte, sondern von einer
Instanz zugesprochen erhielt, die sich das Recht, den Ring weiterzugeben,
selbst verleihen musste, war im Zeitpunkt der Ehrung unbestritten der beste
Schauspieler im deutschen Sprachraum. Er stellte noch eine Art Brücke von
Berlin nach Wien her. Sein Vermächtnis jedoch war ein Dank an das Wiener
Burgtheater. Krauß hatte sich rasch entschieden. Am 28. November 1954
empfing er den Ring und genau 14 Tage später übergab er der
Bundestheaterverwaltung den versiegelten Briefumschlag, der sein Vermächtnis
enthielt. Seine Wahl war auf Josef Meinrad
gefallen, einen Schauspieler, mit dem Berlin kaum viel anzufangen wusste, der
aber in Wien zu den Großen der Schauspielkunst zählt. Fast mit den
gleichen Worten wie Bassermann an Girardi, so gab Krauß an Meinrad den
Ring weiter. Die Einfachheit siegte über die Berühmtheit, die
Schlichtheit über die Faszination. Man kann darüber streiten, ob
Meinrad der beste Schauspieler deutscher Sprache war. Auch über die
Würde mögen die Meinungen auseinanderstreben, da es eine
äußere und eine innere Würde gibt. Die eine ist oft hohl, die
andere nicht immer sichtbar. In einem aber kam Meinrad der Lessingschen
Ringparabel am nächsten: Er war der Liebenswerteste von allen.