Devrient, Ludwig
17.12.1784 - 30.12.1832

Dieser große Künstler wurde in Berlin am 17ten Dezember 1784 geboren. Schon im vierten Jahre verlor er seine Mutter. Der Vater übergab ihn einer französischen Gouvernante zur Erziehung, welche das Kind hasste, und es mit der ganzen Härte einer tyrannischen Stiefmutter behandelte.



Der lernbegierige Knabe kam in die hiesige Hartungsche Schule und machte gute Fortschritte; aber schon in seinem zehnten Jahre brachten ihn die Züchtigungen seiner Gouvernante zur Verzweiflung. Eines Tages ließ sie ihn, eines kleinen Vergnügungshalber, ausgespreizt mit Händen und Füßen auf zwei Stühle, band ihn dort fest und schlug unbarmherzig auf ihn los. Jetzt entstand in unserem Ludwig der Vorsatz, das väterliche Haus zu verlassen, denn Klagen des Glup (so nannte ihn die Gouvernante seiner großen Augen wegen) wurden sowohl, wie diejenigen seiner Geschwister, vom Vater nicht beachtet. Dieser reiste kurze Zeit darauf zur Messe, und während seiner Abwesenheit führte der kleine Ludwig sein kindisches Vorhaben aus.

Er richtete seine Schritte zuerst nach dem Tiergarten, aber schon bei den Zelten stellten sich die ersten Unbequemlichkeiten seiner Reise ein; er empfand einen bedeutenden Hunger und Durst. Diesen befriedigte er durch ein Paar Neigen Bier, welche die Gäste in dem Etablissement übrig gelassen hatten, und den Hunger vertrieb er sich, wenn auch nur notdürftig, durch die von Haus mitgenommene Buttersemmel. So gestärkt wanderte er rüstig weiter bis nach Charlottenburg. Hier begegnete dem kleinen Ausreißer ein Soldaten-Fuhrwerk, das ihm auf sein flehentliches Bitten einen Platz gewährte, und ihn über Potsdam bis Treuenbrietzen brachte. Hier bleib er bei den Soldaten in der Kaserne, verpflichtete sich denselben durch kleine Dienstleistungen, und derselbe Mann, welcher später den höchsten Rang in Thaliens Tempel bekleidete, war hier als Knabe immerfort mit Butter, Schnaps u.s.w. belastet, welche Bedürfnisse der Soldaten er zusammenholen musste, um sein junges Leben notwendig zu fristen! Endlich erbarmte sich einer seiner Herren, den der Ludwig zu gut für solche Beschäftigung dünkte, und brachte ihn zu dem Prediger des Orts. Diesem gestand er seine strafbare Tat, suchte sie aber auch durch die harte Behandlung im Hause des Vaters zu entschuldigen.

Der Geistliche behielt ihn einstweilen bei sich, benachrichtete den Vater davon, schrieb ihm die Ursache der Entweichung Ludwigs und nahm ihm sein Ehrenwort ab, als Vater seiner Kinder zu handeln, und nicht fremden Leuten unumschränkte Gewalt in seinem Hause zu lassen. Dies wirkte; die Gouvernante bekam ihren Abschied und der kleine Ludwig wurde in Triumph von den Seinigen nach Berlin zurückgeführt. War er früher ein Opfer der Willkür und der Tyrannei, so wurde ihm jetzt als ein wiedergefundenes Glied der Familie Alles zu Gute gehalten, und durch alle nur erdenkliche Güte und Nachsicht suchte man den kleinen Märtyrer für die ausgestandene Pein zu entschädigen. Er wurde dadurch, mit seinen eigenen Worten zu reden, "ein kleiner Schalk." Er beschloss seine erste Ausflucht in die Welt. Der Wunsch seines Vaters, sich dem Kaufmannsstande zu widmen, war nicht der seinige, doch musste er sich fügen und kam in eine Material-Handlung als Lehrling. Hier wurde ihm eines Tages von seinem Herrn der Befehl erteilt, eine Kanne Sirup aus dem Fass im Keller zu holen.

Zum Unglück kam in diesem Augenblicke die aufziehende Wache mit schöner Musik vorüber, und Devrient, von jeher ein leidenschaftlicher Verehrer derselben, stürzt aus seiner Unterwelt hinauf um sich durch die für ihn himmlischen Töne ganz in der Nähe entzücken zu lassen. Die Wache zog vorbei und er stieg traurig in den Keller hinab. Aber wie ward ihm, als er, da unten angelangt, in einen See von Sirup trat, und sich augenblicklich für den Schöpfer desselben erkannte? In seiner musikalischen Entzückung hatte er den Hahn der großen Tonne zuzudrehen vergessen, und diese nicht ermangelt, sich ihrer beschwerlichen, wenn auch süßen Last zu entledigen. Da stand nun der zerknirschte Knabe und schaute wehmütig in die dunkle Flut, bis ihn endlich die Donnerworte seines Prinzipals aus seiner Betäubung weckten. Er stammelte Etwas von seiner Liebe zur Kunst, was als Entschuldigung dienen sollte, aber sein Herr kannte keine andere Musik als die der einzelnen Groschen, und wollte unsern Devrient nicht mehr haben; er kam nach Potsdam in eine Bandfabrik. Hatte er dort das Unglück, als ein Opfer der Verehrung für Musik zu fallen, so wurde ihm hier ein gleiches Loos durch seine Gutmütigkeit! Das Taschengeld, welches er von seinem Vater erhielt, setzte ihn in den Stand, die armen Gesellen und Lehrlinge der Fabrik durch kleine Gaben zu unterstützen.

Mit ihrer Dankbarkeit hätte er sich freilich begnügen können, allein er gab seinem Wohltätigkeitssinn eine so große Ausdehnung, dass er den armen Leuten, welche Band und sonstige Bedürfnisse bei ihm kaufen wollten, die Bezahlung erließ, und so lockte er immer mehr und mehr Käufer herbei, die sich sein gutes Herz zu Nutze machten, und durch Tränen und Klagen manche Elle Band eroberten. Das Ende vom Liede war, dass der Prinzipal, dem dieser ganz neue Betrieb seines Geschäftes nicht zu gefallen schien, und der sich keinen Vorteil aus solcher großen Kundschaft berechnen konnte, ihn nötigte, sein Geschäft zu verlassen. Schon früher war es Ludwigs höchste Lieblings-Beschäftigung, die damaligen dramatischen Erzeugnisse eifrig hinter dem Ladentisch zu lesen und zu studieren, durch welche, mit Hilfe seiner lebhaften Phantasie, für ihn die Außenwelt verschwand und höhere Regionen sich seinen Blicken öffneten. Seine Vorgesetzten brachten ihn leider immer zu früh in die raue Wirklichkeit zurück, aber die Wonne konnten sie ihm doch nicht rauben, seine sonntägliche Muße-Stunden im Theater zuzubringen, und sich zu ergötzen an den großen Gestalten der Poesie und der Kunst, die sein ganzes Wesen mit sich fortrissen, und endlich den Gedanken in ihm weckten: selbst ein Schauspieler zu werden.

Und diesen Gedanken beschloss er seinem Vater bei seiner Rückkehr aus Potsdam unumwunden mitzuteilen. Es geschah; -- aber sein Vater heilt diesen Vorsatz für keinen ernsten, sondern für eine jener flüchtigen Ideen des Jünglings, in dessen Brust eine Neigung die andere verdrängt, weil alles Neue in ihr seinen Eindruck nicht verfehlt. Er schickte seinen Sohn zum Einkassieren alter Schulden nach Russland, und dieser, zum ersten Male die wonnige Freiheit einatmend und im Besitze des vielen Geldes, befolgte den Willen seines Vaters, "sich Nichts abgehen zu lassen," in so hohem Grade, dass er, statt Handlungshäuser zu besuchen, zuerst die russische Sprache lernte dann aber tanzen, reiten, fechten und nebenbei als großer Herr lebte. Der Vater, dem die Sache endlich zu lange dauerte, rief seinen Sohn nach Deutschland zurück, und wurde, als dieser mit leerem Geldsacke seinem Befehle Genüge leistete, so erzürnt, dass er durchaus Nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. So stand denn unser Devrient zwar verlassen da, aber es war ihm auch Niemand mehr hinderlich, seine theatralische Laufbahn zu beginnen.

Er wurde, 19 Jahre alt, unter dem Namen "Herzberg" Mitglied der reisenden Lang'schen Gesellschaft, dessen Direktor sich zu jener Zeit grade in Berlin aufhielt. Aber so schön sich Devrient das Bühnenleben früher gedacht hatte, so wenig schien es ihm zu gefallen, als er's kennen lernte. Er wollte Liebhaber und Helden spielen, und mit Beifall überschüttet werden, aber er bekam nur sehr bedeutend kleine Rollen, und selbst in diesen konnte er die Gunst des Publikums nicht erlangen. Als Beweis davon mag folgende Anekdote dienen, welche er selbst in späterer Zeit öfter erzählte. "Ich hatte," sagte er, "weil ich ziemlich schreiben konnte, neben meinen kleinen Partien zugleich das Amt eines Bibliothekars. Die Billets wurden im Bibliothekzimmer verkauft, und als ich eines Tages hinter der Tür auf einer Leiter stand, um ein Buch herunterzulangen, trat ein Herr herein, kaufte sich Billets und ließ sich den Zettel des aufzuführenden Stückes zeigen. "Was?" rief er und hielt mit einem Male im Lesen an, "schon wieder der Herzberg? Herr Direktor, können Sie denn den Menschen nicht aus Ihrer Gesellschaft entfernen? der treibt ja mit seinem Spiel alle Leute zum Tempel hinaus!" Mein Schreck, den ich oben auf der Leiter bekam, war furchtbar, und es fehlte nicht viel, so wäre ich hinabgestürzt. Bei Erwähnung seines ersten Direktors mag es als ein merkwürdiges Faktum hier angeführt werden, daß dieser Hr. Lange ihn kurz vor seinem Tode besuchte -- nachdem sie sich in beinahe dreißig Jahren nicht gesehen hatten.

Dieser Mann also führte ihn ein in die theatralische Welt und reichte ihm die Hand beim Ausscheiden aus derselben. -- Sein ferneres Fortschreiten bis zur Sonnenhöhe der Kunst ist zu bekannt, als dass hier davon noch irgend etwas Neues erwähnt werden könnte; aber sein höchst romantisches Hinscheiden soll die letzte dieser, für alle Freunde des großen Mannes, gewiss interessante Skizzen sein. Als ihm am 29sten Dezember 1832, Abends 9 Uhr, sein Arzt verließ, gab dieser der trauernden Gattin die Versicherung, dass Nichts zu befürchten sei. Devrient befand sich auch ziemlich wohl, und las im "Cabanis" von W. Alexis bis gegen elf Uhr. Jetzt überfiel ihn mit einem Male eine ungeheure Angst, und er rief immerzu nach Licht. Erst, als man acht Lichter angebrannt hatte, beruhigte er sich und bat seine Gattin, ihr Pianoforte in sein Zimmer schaffen zu lassen, und ihm die Ouvertüre aus Don Juan vorzuspielen. Es geschah. Als sie geendet hatte, bat er um Wiederholung, dann wieder, und so fort bis gegen Morgen. Dann sah er starren Blickes hinauf nach dem Bilde seines verstorbenen Freundes, des genialen Hoffmann, welches über seinem Bette hing. "Was willst Du von mir Hoffmann?" rief er, "lass' mich in Ruhe! Du bist niemals Klassiker gewesen! Mein Urteil hab' ich gehört! Ich sterbe noch nicht! Ich bin erst 50 Jahre alt!

Hierauf wurde er ruhig; ein mildtätiger Engel schien dem Leidendem Kühlung zuzufächeln; -- er griff nach dem Buche, wollte lesen, holte tief Atem und -- Ludwig Devrient war tot.



Statistik Counter