Reinhold Schünzel
1888 - 1954
Als Schauspieler zählte er neben Anita Berber und Conrad Veit zu den Stars in den
Stummfilmen des legendären Richard Oswald. Als Regisseur drehte er die
erfolgreichsten und einen der aufwendigsten Ufa-Filme der 30er Jahre, obwohl er als
sogenannter Halbjude den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war. Nach seiner
Emigration zählten seine einstigen Vertreiber zu seinen häufigsten Rollen - wiederum als
Darsteller. In den frühen 50er Jahren versuchter er vergeblich in Deutschland wieder
Fuß zu fassen. Heute ist Reinhold Schünzel trotz seiner Filmklassiker und seiner
interessanten Biografie zu Unrecht fast vergessen...
Reinhold Schünzel wird am 07.11.1888 in Hamburg geboren, wo er im Hafen-, und
Amüsierviertel St. Pauli aufwächst. Etwa 1898 zieht die Familie nach Berlin. Dort
besucht Schünzel die IV. Realschule mit eher mäßigem Erfolg. Im Berliner Verlagshaus
Scherl schließt Schünzel eine kaufmännische Ausbildung ab. Dort bleibt er auch
beschäftigt, während er nebenbei als Statist am Königlichen Schauspielhaus auftritt.
Zu Beginn der 10er Jahre wechselt Schünzel - für das Verlagshaus Scherl bereits als
Filialleiter tätig - nach Bremen, später nach Hamburg. Hier ist er nebenbei als
Schauspieler an verschiedenen Bühnen tätig.
1912 entscheidet er sich für eine reine Künstlerlaufbahn und wird Mitglied einer
Varieté-Gruppe, mit der er durch Deutschland und die Schweiz tingelt. 1914 bis 1915 ist
er festes Ensemblemitglied am Stadttheater Bern, bis er zum Militär einberufen wird und
als Artillerist in Altona-Bahrensfeld dient.
Nach seiner Militärzeit versucht er wieder in Berlin ein Engagement als Schauspieler zu
bekommen, wo ihn noch im gleichen Jahr Carl Meinhard an das Theater am
Schiffbauerdamm und an das Theater in der Königgrätzer Straße holt.
1916 tritt Schünzel erstmals in den verschiedensten Rollen beim Film auf. In den
Kriminalreißern und Sittenfilmen von Richard Oswald gehört er bald als Oberschurke
neben Conrad Veidt und Anita Berber zur Stammbesetzung.
1918 führt Schünzel für Kurzfilme der Berliner Eiko-Film GmbH erstmals selbst Filmregie.
1918/19 hat er seinen legendären Auftritt in Richard Oswalds ANDERS ALS DIE
ANDERN als Verbrecher, der den § 175 ausnutzt, um einen Homosexuellen (Conrad
Veidt) zu erpressen.
Schünzel tritt auch in einigen Filmen der erfolgreichen Max Landa-Detektiv-Serie auf
(MITTERNACHT, DAS GEHEIMNIS DES AMERIKA-DOCKS u. a.). In Ernst Lubitschs
MADAME DUBARRY, UT MINE STROMDIT nach Fritz Reuter oder LUISE MILLERIN
nach Schiller sieht man ihn auch in untypischen Rollenfächern.
1919 beginnt Schünzel mit der Regie abendfüllender Spielfilme der unterschiedlichsten
Genres. 1920 macht er sich mit Gründung der Lichtbild-Fabrikation Reinhold
Schünzel-Film selbstständig. In Zusammenarbeit mit der Wiener Micco-Film entsteht z. B.
DER GRAF VON CAGLIOSTRO, abermals mit Conrad Veidt und Anita Berber.
Ab 1921 ist er als zweiter Geschäftsführer und künstlerischer Leiter an der Berliner
Micco-Film GmbH beteilig. Nebenbei schreibt er Drehbücher für Filme von Robert
Liebmann und spielt in weiteren Filmen sowie am Theater.
1924 unterschreibt Schünzel einen Vertrag für die Domo-Film, bei der er bis 1926 als
Schauspieler und Co-Autor mit Alfred Schirokauer arbeitet. Danach gründet er die
Reinhold Schünzel-Film GmbH, die zunächst für die Ufa, später für die Südfilm AG
produziert. Er fungiert als Regisseur, künstlerischer Oberleiter, Autor und
Hauptdarsteller. Diesmal übernimmt er auch komische Rollen.
Diese Überbeschäftigung hat zur Folge, dass Schünzel in dieser Zeit kaum
Fremdangebote annehmen kann und eigene Projekte zum Teil über eine Planung nicht
hinauskommen. So blieben angekündigte Filme nach Kleists DER ZERBROCHENE
KRUG (1927) oder Maupassants BOULE DE SUIF (1929) unrealisiert.
Mit der Einführung des Tonfilms beendet Schünzel seine Tätigkeit als Produzent und
vernachlässigt - unzufrieden mit den ersten Tonfilmen - auch seine Regisseurlaufbahn.
So inszeniert er 1930 zwar den Max Schmeling-Film LIEBE IM RING, den unter der
Regie von Schünzel angekündigten Edgar Wallace-Krimi DER ZINKER inszenieren aber
Carl Lamac und Mac Fric.
Statt zu inszenieren spielt er in einigen erfolgreichen Tonfilmen - wieder meist
schurkenhafte Nebenrollen. Nach dem Auftritt in IHRE HOHEIT BEFIEHLT (Regie:
Hanns Schwarz) erhält er das Angebot, fortan als Regisseur für die Ufa tätig zu sein.
Schünzel nimmt an und nutzt alle Möglichkeiten des Tonfilms. Er inszeniert ambitionierte
Musicals wie RONNY oder DAS SCHÖNE ABENTEUER mit Käthe von Nagy und DER
KLEINE SEITENSPRUNG, WIE SAG ICH'S MEINEM MANN sowie SAISON IN KAIRO
mit Renate Müller, an deren Aufbau als beliebter Nachwuchsstar er maßgeblich beteiligt
ist.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 gilt Schünzel offiziell als
"Halbjude", so dass er fortan auf befristete Arbeitserlaubnisse angewiesen ist, die man
ihm während der Dreharbeiten zu SAISON IN KAIRO noch ohne Komplikationen
gewährt.
Sein nächster Film VIKTOR UND VIKTORIA wird 1933 einer der erfolgreichsten Filme
der Ufa, was zur Folge hat, dass er für das Folgejahr einen weiteren Vertrag über zwei
Filmprojekte erhält. Da die Branche durch die Abwanderung zahlreicher Filmschaffender
in dieser Zeit deutlich geschwächt ist, will man auf Schünzel, der als zuverlässiger
Unterhaltungsregisseur gilt, zunächst auch in Bezug auf den Exportwert seiner Filme
nicht verzichten.
1934 entsteht mit DIE ENGLISCHE HEIRAT ein weiterer Publikumserfolg. 1935 erhält er
- trotz erster inhaltlicher Differenzen mit dem Ufa-Vorstand - die Genehmigung für sein
nächstes Projekt.
AMPHITRYON wird der bis dahin teuerste Ufa-Tonfilm und der größte Erfolg Schünzels
als Regisseur, der mit diesem Film deutlich das nationalsozialistische Regime und den
Stil Leni Riefenstahls Reichstagsfilme persifliert. Durch den enormen Erfolg entstehen
zwischen der Ufa und der Reichsfilmkammer Differenzen, da Schünzel den Machthabern
zwar unliebsam erscheint, der Ufa aber große Geschäfte garantiert.
Die Folge dieser Unklarheiten seitens der Ufa ist, dass Schünzel ab 1936 bei der Wahl
der Stoffe und der Schauspieler weniger Freiraum eingeräumt wird. Die Dreharbeiten
zum nächsten Film sind von weiteren Meinungsverschiedenheiten zwischen Regisseur
und Produktion geprägt, so dass DAS MÄDCHEN IRENE Schünzels letzter Film für die
Ufa wird. Noch während der Dreharbeiten, erhält er einen Vertrag bei der Tobis.
Hier plant man für Schünzel zunächst zwei Filme (LAND DER LIEBE und DIE
UNENTSCHULDIGTE STUNDE), wovon die Georg Witt-Filmproduktion ersteren im
Tobis-Auftrag herstellt. Bei diesem Film lässt Schünzel keine Gelegenheit aus, das
Nazi-Regime lächerlich zu machen. Der Propagandaminister Goebbels notiert 1937 in
seinem Tagebuch: "Furchtbarer Ärger mit dem Schünzel-Film, der 1,3 Millionen kostet
und ganz unbrauchbar ist. Das hat dieser Halbjude mit Absicht gemacht."
Das Propagandaministerium veranlasst - neben der Entlassung des zuständigen
Tobis-Chefs F. A. Mainz - ein einstweiliges Aufführungsverbot des Films. Während Curt
Goetz (am Drehbuch beteiligt) und dessen Ehefrau Valerie von Martens von der
Gestapo vernommen werden, flieht Schünzel am 02.05.1937 über Wien und Budapest
nach Hollywood, wo er von der Amerikanisch MGM-Film erwartet wird.
In Deutschland wird der Name Schünzel fortan aus den Filmkopien entfernt, seine Filme
- insbesondere AMPHITRYON laufen noch bis 1945 in den Kinos - mit beträchtlichem
Erfolg.
In den USA erwarten Schünzel zunächst auch Proteste anderer Emigranten, die ihm zum
Vorwurf machen, zu lange in Deutschland gefilmt zu haben. Trotz zahlreicher weiterer
Anfeindungen kann Schünzel 1938 seinen ersten amerikanischen Film für den
MGM-Produzenten Edward Chodorov inszenieren.
RICH MAN, POOR GIRL wurde bei Publikum und Presse ein Erfolg, bei seinem
nächsten Werk kommt es aber zu Auseinandersetzungen mit Produzent Harry Rapf
(ebenfalls MGM), da Schünzel kaum Mitspracherecht bei der Gestaltung des Drehbuchs
bekommt. THE ICE FOLLIES OF 1939 wird ein kommerzieller Misserfolg, so dass
Schünzels nächster Film BALALAIKA sein letzter für MGM bleibt.
1941 dreht Schünzel für eine unabhängige Produktionsfirma seinen letzten Spielfilm
NEW WINE. Auf Grund schlechter Vermarktung durch den Verleih, entwickelt sich auch
dieser zu einem Misserfolg. Schünzel versucht zunächst eine eigene Produktionsfirma
zu gründen, kann diese Pläne aber nicht verwirklichen.
Ab 1942 tritt Schünzel wieder als Schauspieler in Filmen auf, die ihn vorwiegend als
unsympathischen Nazi zeigen. 1946 folgt ein Auftritt in Alfred Hitchcocks Krimi
NOTORIOUS.
Da es ihm auch nicht gelingt als Filmschauspieler dauerhaft Fuß zu fassen, spielt er
fortan wieder Theater, wie z. B. im "Kabarett der Komiker" in New York.
Ein Anschluss an den Erfolg, den er als Regisseur und Schauspieler in Deutschland
hatte, gelingt ihm trotz großem Engagement nicht.
1949 kehrt Schünzel nach Deutschland zurück, wo er für Günther Stapenhorsts
Carlton-Film DER RAUB DER SABINERINNEN mit Hans Albers verfilmen will. Dieses
Projekt kommt erst Jahre später unter der Regie seines einstigen Assistenten Kurt
Hoffmann zu Stande.
1951 kommt Schünzel nach Hamburg. Hier soll er für die Produzenten F. A. Mainz und
Franz Tapper den Stoff WOCHENEND IM PARADIES verfilmen - auch dieser Film
entsteht erst später unter der Regie von Kurt Hoffmann.
Er wirkt schließlich als Co-Regisseur bei Georg Wildenhagens DIE DUBARRY mit, ohne
später im Vorspann oder in Programmheften erwähnt zu werden. Zwischenzeitlich reist
er immer wieder in die USA, um dort Angebote als Darsteller in Filmen oder auf der
Bühne anzunehmen.
1953 kommt er zum dritten Mal nach Deutschland, um mit Günther Stapenhorst
abermals über eine Filmregie zu verhandeln. Statt jedoch selbst einen Film zu
inszenieren, tritt er in Gerhard Lamprechts Film MEINES VATERS PFERDE 2. TEIL und
in der von Erich Pommer produzierten Zuckmayer-Verfilmungen EINE
LIEBESGESCHICHTE auf. Danach reist er abermals in die USA.
Im Sommer 1954 nimmt er in Berlin den Deutschen Filmpreis für seine Rolle in MEINES
VATERS PFERDE 2. TEIL entgegen. Im gleichen Jahr spielt er an den Münchner
Kammerspielen den Polonius in der HAMLET-Inszenierung von Leopold Lindtberg.
Am 11.09.1954 besucht er eine Aufführung von Kurt Hoffmanns Filmerfolg DAS
FLIEGENDE KLASSENZIMMER im Münchener Luitpold-Theater.
Auf der Rückfahrt in das Hotel Continental stirbt Schünzel unerwartet an einem
Herzinfarkt.
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